Gedenken an die Kirchbergmorde

GLB lädt zur Gedenkfeier am Sonntag ein

In den letzten Kriegstagen im März 1945 haben Mitglieder der Gestapo im Wald am Bensheimer Kirchberg zwölf Menschen ermordet, die im Bensheimer Gestapo-Gefängnis inhaftiert waren. An diese sogenannten Kirchbergmorde erinnert die Grüne Liste Bensheim (GLB) im Rahmen ihrer traditionellen Gedenkfeier am Volkstrauertag. Die GLB lädt alle Interessenten zur Teilnahme ein.

In diesem Jahr wird der evangelische Pfarrer aus Schwanheim, Hans Greifenstein, im Rahmen der Gedenkfeier sprechen. Musikalisch wird die Feier von Hannelore Schmanke und ihren Schülerinnen gestaltet.

„Nach den diversen rassistischen und menschenverachtenden Ereignissen in diesem Jahr ist ein Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus notwendiger als je zuvor“, sagt GLB-Sprecher Michael Krapp. „Wir sind durch die Opfer der Kirchbergmorde aufgerufen, jederzeit für die Würde des Menschen einzutreten. Sie wurden Opfer mitten unter uns. Darum gilt es, auch den kleinsten Ansätzen in unserer Heimat Bensheim zu widerstehen und Solidarität zu üben.“

Die Gedenkfeier findet am Sonntag, 18. November 2018, um 14 Uhr am Gedenkstein im Wald am Kirchberg statt (Zugang über Brunnenweg).


Rede zum Gedenken an die Kirchbergmorde 18.11.2018

Verehrte Anwesende,
Für die Nazionalsozialisten war es ein Schock, dass es den amerikanischen Truppen relativ leicht gelungen ist, Ende März 1945 den Rhein zu überqueren und ohne nennenswerte Gegenwehr ihren Vormarsch fortsetzen zu können. Joseph Goebbels zeigt sich in seinem Tagebuch entsetzt über diese Tatsache und forderte „fanatischen Widerstand“ auf allen Ebenen. Die Folge war, dass es zu zahlreichen Vorfällen wie hier am Kirchberg kam. Am Kornsand bei Trebur wurden Menschen erschossen, bei uns in Schwanheim kam es zu einem sinnlosen Feuergefecht, in dem acht Menschen getötet worden sind, hier in Bensheim traf es amerikanische Kriegsgefangene, junge Wehrmachtssoldaten, die wegen angeblicher Desertion am Wasserwerk standrechtlich erschossen worden sind und eben auch die 12 Unglücklichen, die aus dem Gestapogefängnis in Bensheim hierher verschleppt und ermordet worden sind. Es hat eine ganz besondere Tragik, dass sie so kurz vor Ende der Kampfhandlungen ihr Leben lassen mussten. Am 28.3.1945 ist hier in Bensheim das 1000jährige Reich der Nationalsozialisten zu Ende gegangen. Es hat für die Menschen, um die wir heute öffentlich trauern drei Tage zu lange gedauert. Es schmerzt, wenn man sich an solche Dinge erinnert, es kostet Kraft, mit den Opfern mitzufühlen und es macht Angst sich vorzustellen wie es uns selbst ergehen würde, hätten wir ein solches Schicksal zu ertragen. Wie war für sie der Weg hier hoch? Konnten sie sich lange in der Hoffnung wiegen doch noch davon zu kommen? Wie erging es ihnen im Moment des Erkennens, dass ihr Leben nun hier enden würde? Das sind schreckliche Gedanken.
Viele Menschen setzen sich ihnen nicht gerne aus. „Irgendwann muss doch mal Schluss sein mit diesen alten Geschichten, das ist doch alles schon so lange her“ denken die allermeisten und bleiben Veranstaltungen wie dieser hier fern.
Manche freut es sogar, wenn nur wenige sich am 9.11. oder an anderen Gedenktagen versammeln, um der Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft zu gedenken. Sie klagen über einen „Schuldkult“ in Deutschland, der angeblich dazu führt, dass wir naiv zum Sozialamt der ganzen Welt verkommen und nicht mehr energisch genug die Interessen des deutschen Volkes gegenüber den Hungerleidern dieser Welt vertreten. Der ehemals auch in Bensheim tätige ehemalige Geschichtslehrer Björn Höcke sprach in diesem Zusammenhang vom Holocaust-Denkmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ und forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.“
180 Grad! Wo würden wir dabei heraus kommen? Würden wir heute hier stehen, um etwa den fanatischen Kampfgeist der Verteidiger des großdeutschen Reiches zu bedenken, die in Ausübung ihrer Pflichterfüllung unerbittlich gegen Deserteure und volksschädlichen Elemente vorgegangen sind, wie Joseph Goebbels es formuliert hätten? Sollen wir nach Herrn Höckes Meinung heute die Täter und nicht die Opfer der Kirchbergmorde ehren?
Vielleicht so wie Heinrich Himmler, 4.10.43 in Posen in einer Rede vor SS-Leuten getan hat:
„Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von menschlichen Ausnahmeschwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“
Natürlich hat Herr Höcke das nicht so gemeint. Leute seines Schlages meinen es ja nie so, wenn man sie fragt, was das eigentlich bedeutet, was sie da sagen. Sie hätten gerne, dass sie Nazis sein dürfen, die wie Demokraten behandelt werden müssen, weil sie ja angeblich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Das behaupten sie, weil das im Moment noch so sein muss. Weil die Mehrheit der deutschen Bevölkerung immer noch entschieden den Nationalsozialismus ablehnt und nichts mit solchen Greueltaten zu tun haben will, wegen derer wir uns heute hier versammeln.
Aber es wird mit Fleiß daran gearbeitet, den antifaschistischen Grundkonsens unserer Gesellschaft zu zerstören, die Grenzen des Sagbaren werden verschoben, es wird provoziert, es wird taktiert, es wird ausgelotet, was heute schon alles wieder gesagt werden kann. Das ist die Methode der Trump, der Orban, der Salvini, der Le Pen und der Gaulands – und am Ende soll es wieder so eine Art Sprache geben, die der Philologe Victor Klemperer die „LTI“ genannt hat, die „Lingua Tertiae Imperii“, die Sprache des dritten Reichs, nun eben als demokratisch ummäntelter Hass-Sprech gegen alle, die unser gottgegebenes Recht auf Reichtum bedrohen. Weil: Mit der Sprache fängt alles an. Am Anfang ist es Hetze, am Ende ist es Mord. Und wenn die Mörder fvon gestern von Herrenmenschen und Untermenschen gesprochen haben, dann sind es heute die Asyl-Sozialschmarotzer, die faulen Südeuropäer, die uns mit dem Euro die Sparbuchzinsen gestohlen haben. Waren früher die Juden unser Unglück, so sind es heute alle, die zu uns wollen, um sich hier ins gemachte Nest zu legen und uns das wegnehmen, was uns von Geburt an zusteht, weil wir Deutsche sind. Und die sind es nicht. Die wollen sich ja nur ein schönes Leben machen auf unsere Kosten.
Nationalismus ist Neandertal auf modern geschminkt. Es geht immer darum, dass die aus der einen Höhle gegen die aus der anderen Höhle kämpfen, um das Überleben zu sichern. Mit dieser Einstellung richten wir uns im 21. Jahrhundert selbst zu Grunde. Der Klimawandel braucht kein Visum, um Grenze zu überqueren und solange Menschen an Hunger sterben, wird es keine Ruhe an den Grenzen geben, weil Frieden nur da ist, wo auch Gerechtigkeit ist. Die Welt ist wie ein Schiff und wenn es unten in der Holzklasse brennt, dann können die auf dem Sonnendeck nicht weiter ihre Cocktails schlürfen, so als ob nichts geschehen wäre.
Nationalisten lügen. Sie versprechen den Menschen, dass ihr Teil des Schiffes über Wasser bleibt während der Rest absäuft. Warum? Weil wir die wertvolleren Menschen sind und darum ein Recht haben leben zu dürfen, während die anderen halt Pech haben.
„Nationalismus heißt Krieg“ hat Francois Mitterand 1995 im Europaparlament gesagt und Emmanuel Macron hat das aufgegriffen und bei den Feiern zur Erinnerung an den 100. Jahrestag des Endes des 1.Weltkrieges gesagt: „Patriotismus ist das genaue Gegenteil von Nationalismus. Der Nationalismus ist sein Verrat.“
Und darum stehe ich heute hier. Ich stehe hier, weil ich großen Wert auf den Unterschied zwischen Nationalismus und Patriotismus lege. Ich  halte diesen Unterschied für überlebensnotwendig. Ich will um unsere Fahne kämpfen und um unsere Hymne. Es darf nicht sein, dass die Nationalisten sie sich unter den Nagel reißen und ungestraft so tun können, als seien sie die besseren Deutschen als wir.
Das war auch ein Teil der „Linguae Tertiae Imperii“ – so zu tun, als ob die Nationalsozialisten die eigentlichen, die richtigen Deutschen seien und die anderen alle entweder jüdische Untermenschen, vaterlandslose Gesellen, Agenten des Komintern oder der katholischen Reaktion, in jedem Fall: Menschen 2. oder 3.Klasse, die weniger Recht zu leben haben als die von der NSDAP akzeptierten Volksgenossen.
Und deshalb: Nicht wer die meisten Fahnen durch die Gegend schleppt und am lautesten „Deutschland“ grölt ist ein guter Deutscher. Gut zu uns Deutschen ist, wer eine Politik betreibt, die so etwas verhindert was am 24.3.1945 hier an dieser Stelle geschehen ist.
Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der so unterschiedliche Politiker wie Helmut Kohl und Erich Honecker sich darüber einig waren, „dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf“. Das hat unter anderem auch daran gelegen, dass die beiden nicht extra an einen solchen Platz wie den hier gehen mussten, um zu wissen, was Krieg bedeutet. So unterschiedlich beide deutsche Staaten nach 1945 waren, in der Frage: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ war man sich im Grundsatz einig.
Wenn es eine Lehre aus der Zeit des Faschismus gibt, dann ist es die, dass wir diese Einigkeit bewahren müssen.
Alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, die demokratischen Parteien, die Gewerkschaften, die Glaubensgemeinschaften, die gesamte Zivilgesellschaft – wir alle – müssen unser Grundgesetz verteidigen. Im Artikel 1 ist das Wichtigste und Kostbarste davon gesagt:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Es heißt nicht: „Die Würde des deutschen Menschen ist unantastbar“, gemeint ist die Würde aller Menschen.
„Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, heißt es im GG und ich möchte ergänzen, es ist auch Verpflichtung aller Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
Demokratie ist eine Staatsform, die durch gesellschaftliches Engagement lebendig gemacht werden muss und wir ehren unsere Toten am besten durch unsere Taten.
Darum: Setzen wir uns aktiv ein in der Kommunalpolitik, in der Landespolitik, in der Bundespolitik, ob viel oder wenig, ob laut oder leise – gefragt sind wir alle.
Die erste deutsche Demokratie, die Weimarer Republik ist gescheitert. Sie ist nicht gescheitert, weil sie zu viele Feinde hatte, sie ist gescheitert, weil sie zu wenig Freundinnen und Freunde hatte. Sorgen wir dafür dass das nicht noch einmal geschieht. Ich bin optimistisch, dass dies gelingen wird. Seit dem Wiedererstarken nationalistischer und faschistischer Kräfte in der letzten Zeit ist auch eine starke Gegenbewegung entstanden. Mich persönlich hat es mit Hoffnung erfüllt, dass bei der AfD-Veranstaltung während des Landtagswahlkampfes in Auerbach so viele Menschen für die Verteidigung der Demokratie auf die Straße gegangen sind. Insbesondere hat es mich gefreut, so viele wache, junge Menschen dort gesehen zu haben. Um die Zukunft ist mir nicht bange, wenn wir gemeinsam weiter diesen Weg beschreiten.
Ich möchte schliessen mit einem multireligiösen Gebet. Es ist ein Auszug aus dem „Gebet der Vereinten Nationen“:
Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung. Gib uns Mut und Voraussicht, schon heute mit diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz den Namen Mensch tragen.

Pfarrer Hans-Joachim Greifenstein
Rohrheimer Str. 27
64625 Bensheim