Den Tätern fehlte jedes Mitgefühl

Grüne Liste Bensheim: Gedenken an die Opfer der Kirchbergmorde im März 1945

Bensheim. „Wir sind nicht nur hierher gekommen, um der Verfolgung und Ermordung der Opfer zu gedenken. Wir sind auch hierher gekommen, um uns über die Wirksamkeit unserer Erinnerung zu vergewissern. Wie können wir in Zukunft die menschliche Würde schützen, angesichts der bedrohlichen Entwicklungen in Deutschland und Europa, wo gewaltbereite Aktivisten unterschiedlicher Überzeugungen bei Parlamentswahlen gewinnen und auf den Straßen ihre menschenverachtende Weltsicht, die sich vieler Elemente der NS-Ideologie bedient, verbreiten?“, so begann Angelika Köster-Loßack am Sonntag ihre Ansprache zum Gedenken an die Opfer des NS-Terrors in Bensheim – drei Tage vor der Befreiung durch die Amerikaner im März 1945.

Unter den Menschen, die sich am Volkstrauertag auf Einladung der GLB am Gedenkstein im Brunnenweg einfanden, um einen Kranz niederzulegen, war auch der designierte Bensheimer Bürgermeister Rolf Richter. Detailliert schilderte Angelika Köster-Loßack das perfide Vorgehen der Nazischergen: Nachdem am 17. März 1945 die amerikanischen Truppen Bad Kreuznach erreicht hatten, bereitete die Gestapo die Räumung ihrer Dienststelle in Bensheim vor. Der größte Teil der Gefangenen, die Mitte März aus einem KZ-Außenkommando bei Lorsch ins Bensheimer Gefängnis gebracht worden waren, wurden vom 21. bis 23. März in Richtung Osten verschleppt.

Am 23. März überschritten die Amerikaner bei Gernsheim den Rhein. Am gleichen Tag wurden in Bensheim drei junge Soldaten zum Tode verurteilt und vor den Augen der Bevölkerung zum Wasserwerk am Kirchberg geführt und ermordet. Der Vorwurf lautete Fahnenflucht. Am 24. März gegen 20 Uhr marschierte das mit Maschinenpistolen bewaffnete Sonderkommando der Gestapo zum Gefängnis, wo nach Verlesung ihrer Namen 14 Gefangene aus ihren Zellen geholt wurden: Gretel Maraldo aus Offenbach, Rosa Bertram aus Worms, Lina Bechstein aus Kriegsheim, Frederic Roolker aus Holland, Lothaire Delaunay und Eugene Dumas aus Frankreich, Jakob Gramlich aus Bonsweiher, Johann Goral aus Polen, Alex Romanow aus Russland, Walter Hangen und Erich Salomon aus Worms. Sie waren Menschen jüdischer Abstammung, Kriegsgefangene oder sympathisierten mit der politischen Opposition. Außerdem waren drei weitere Männer unter den Gefangenen, die nicht identifiziert werden konnten.

Die Gefangenen gingen in Dreierreihen durch die Wilhelmstraße und die Kirchbergstraße, dann in Richtung Kirchberg. An der Gabelung Ernst-Ludwig-Straße/Bismarckstraße flüchteten Alex Romanow und Gretel Maraldo. Beide wurden von Schüssen getroffen – Gretel Maraldo tödlich, Alex Romanow konnte entkommen und überlebte.
Verantwortliche hingerichtet

Die Gefangenen zogen weiter bis zum Edelmannsgrund, wo sie Halt machten. Lothaire Delanay und Eugene Dumas wurden durch Genickschüsse ermordet, Johann Goral nur durch zwei Streifschüsse verletzt. Er konnte sich verstecken, während die Gestapo die nächsten Opfer holte.

Nach der Ermordung der übrigen Gefangenen kehrte das Mordkommando in seine Dienststelle zurück. Am gleichen Tag ermordete die Bensheimer Gestapo noch zwei amerikanische Kriegsgefangene, wahrscheinlich nach ihrer Rückkehr vom Kirchberg.

Von einem US-Militärgericht wurden vier Verantwortliche für den Mord an den gefangenen amerikanischen Soldaten zum Tode verurteilt und im Oktober 1948 hingerichtet. Wegen der Ermordung der Gefangenen am Kirchberg durch die Gestapo erstattete die Bürgermeisterei Bensheim im August 1946 Anzeige beim Oberstaatsanwalt in Darmstadt. Nach drei Jahren wurde endlich gegen einen der Beteiligten Anklage erhoben. Im August 1949 wurde er wegen Beihilfe zum Mord in zwölf Fallen und versuchtem Mord in zwei Fällen zu einer Zuchthausstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt.

„Wir gedenken der Toten, denen nur drei Tage bis zur Befreiung fehlten“, sagte Angelika Köster-Loßack und führte weiter aus: „Die NS-Ideologie ermöglichte den Tätern, ohne jedes Mitgefühl ihre grausamen Taten zu begehen.“ Auch heute würden sich Täter bei ihren Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf rassistische, antisemitische und pseudo-religiöse Begründungen berufen. Wie eine Verhinderung dieser Verbrechen und eine wirksame Vorbeugung gegen die Entstehung der ihnen zugrundeliegenden Einstellungen gelingen kann, sei bis heute nicht geklärt.

Musikalisch wurde die Gedenkfeier von Hannelore Schmanke und Nathalie Tokos an der Querflöte begleitet. red/tn
© Bergsträßer Anzeiger, Mittwoch, 19.11.2014