Single-Wohnung statt Altbau im Stadtteil

Infrastruktur: Professor Hans-Joachim Linke referierte bei der GLB über den demografischen Wandel und seine Folgen für den Siedlungsbau

Bensheim. Der demografische Wandel kommt – auch wenn Bensheim und die Bergstraße derzeit noch gegen den Trend wachsen und vor allem von der Zuwanderung durch EU-Bürger profitieren. Professor Dr. Ing. Hans-Joachim Linke von der TU Darmstadt sprach auf Einladung der GLB-Fraktion am Dienstag über das Thema „Demografischer Wandel und Bauplanung“. Seit zehn Jahren beschäftigt sich eine Forschergruppe der TU mit diesem Themenkomplex und wird dabei von Kommunen – beispielsweise Reichelsheim und Michelstadt – unterstützt.

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Wie sehen Prognosen für die Bevölkerungszahlen in Deutschland – und Bensheim – aus?
Das Statistische Bundesamt sagt eine Schrumpfung der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik bis 2060 von derzeit rund 82 Millionen auf 65 bis 70 Millionen und eine dramatische Senkung der Geburten voraus. Bensheim wird demnach in den nächsten zwanzig Jahren voraussichtlich bis zu zehn Prozent weniger Einwohner haben. Vor allem die Wohngebiete an der Peripherie sind davon betroffen.

Wie können Kommunen jetzt schon auf den demografischen Wandel reagieren?
Wohnraumangebote müssen sich unweigerlich an veränderten Lebensformen orientieren, so das Ergebnis der Studie. Hilfreich könnte dabei ein aktives Wohnraum-Management durch die Kommune sein, schlägt der Professor vor.

Sind alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen?
Die Anzahl der unter Vierzigjährigen geht gewaltig zurück, ein gleichzeitiger Verlust der Arbeitskräfte ist damit vorprogrammiert. Arbeitgeber müssen rechtzeitig darauf reagieren. Parallel dazu ist ein „dauerhafter Anstieg“ der über Achtzigjährigen auf circa sieben Millionen im Jahr 2050 voraussehbar. Massive Auswirkungen auf die Infrastruktur und die wirtschaftliche Entwicklung sind realistisch.

Welche Auswirkungen hat das auf den Wohnungsmarkt?
Es wird immer mehr Singlehaushalte und Kleinfamilien geben, was eine veränderte Nachfrage nach der Wohnraumgröße mit sich zieht. Deshalb steht die Frage im Raum, ob sich die Erschließung neuer Wohngebiete – perfekt zugeschnitten auf die junge Familie – in Zukunft überhaupt trägt.
Kann die Politik das Problem alleine lösen, oder braucht es eine übergreifende Allianz?
Trotz aller Schwarzmalerei. Professor Linke hält wenig von allgemeinen Prognosen. Stattdessen empfiehlt der Wissenschaftler den politischen Verantwortungsträgern dringend und beizeiten eine Gesamtstrategie zu entwickeln, wohin die Entwicklung gehen soll – und wohin nicht. Einen Alleingang der Politik hält er allerdings für wenig erfolgversprechend. „Wer den Hammer heraus holt, bewirkt nichts.“ Vielmehr gelte es, auf Akzeptanz und die Bereitschaft zur Mitwirkung für weitgreifende Veränderungen zu setzen.
Welche kurz- und mittelfristigen Maßnahmen könnten greifen?
Um den veränderten Lebensgewohnheiten und Veränderungen in den Siedlungsstrukturen in Zukunft gerecht zu werden, reicht es nicht, sich krampfhaft an statistischen Zahlen zu orientieren. Es mache bedeutend mehr Sinn, so Linke, gemeinsam mit Eigentümern, Ortsvorstehern und Bewohnern Szenarien über notwendige Veränderungen in den Quartieren zu entwickeln. Dazu zählt er unter anderem die Erfassung des Gebäudebestandes.
Wie können verödete Innenstädte und dünn besiedelte Ortsteile verhindert werden?
Um die Leerstände in Stadtzentren, Randgebieten und den Ortsteilen so gering wie möglich zu halten, hält Linke eine Problemanalyse für unerlässlich. Mittelfristig müsse über die Schaffung von neuem Planungsrecht nachgedacht werden, um Städten den Ankauf von leer stehenden Immobilien zu ermöglichen.
Was versteht man unter der „Demografischen Kostenfalle“?
Als Drohszenario der Zukunft beschrieb Linke die Unterauslastung der Infrastruktur am Beispiel der Abwasserkanalisation und sprach von der „Demografischen Kostenfalle“. Durch eine geringere Beanspruchung entstünden gleichzeitig höhere Kosten für Instandhaltung und Reinigung, die von den Gebührenzahlern „wie eine Art zweiter Miete“ aufgebracht werden müssten.
Quelle: © Bergsträßer Anzeiger, Donnerstag, 16.10.2014
Von unserer Mitarbeiterin Gerlinde Scharf