Einheitliches EU-Asylrecht gefordert

Vortrag: Judith Kopp von Pro Asyl sprach im Haus am Markt über die aktuelle Flüchtlingssituation

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Bensheim. Einen Überblick über die aktuelle Flüchtlingssituation sowie die europäische Grenz- und Flüchtlingspolitik lieferte Judith Kopp bei einem Vortrag im Haus am Markt. Die Europa-Expertin von Pro Asyl referierte auf Einladung der Bensheimer Grünen. Judith Kopp sprang ein für den ursprünglich geladenen Vorsitzenden Andreas Lipsch, den ein kurzfristig anberaumter beruflicher Termin an der Reise nach Bensheim hinderte.

Die wichtigsten Punkte des Vortrags im Überblick:
Binnenvertriebene und Flüchtlinge: Nach Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinen Nationen (UNHCR) werden im Jahr 2016 weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht sein. Die größte Gruppe – circa zwei Drittel – bilden dabei die sogenannten Binnenvertriebenen, die auf ihrer Flucht keine internationalen Landesgrenzen überschreiten, erläuterte Kopp. Etwa 90 Prozent der Menschen, die ihr Heimatland verlassen, fliehen in benachbarte Staaten und werden damit im Sprachgebrauch zu Flüchtlingen. Viele Flüchtlinge, so die Referentin weiter, gehen von einem nur vorübergehenden Verbleib in dem benachbarten Aufnahmeland aus und rechnen mit einer baldigen Rückkehr in ihre Heimat. Die meisten Flüchtlinge leben aktuell in der Türkei, Pakistan, Libanon, Iran, Äthiopien, und Jordanien.

Ursachen der Flucht: Kriege, wie in Syrien und im Irak in Verbindung mit dem Aufkommen des sogenannten „Islamischen Staats“, sind eine Ursache für den Flüchtlingsstrom. Ein weiterer Grund ist laut Judith Kropp der globalisierte Kapitalismus. Die Referentin wies in diesem Zusammenhang unter anderem auf die Agrarexporte der EU nach Afrika hin, durch die einheimischen Kleinbauern die Lebensgrundlage entzogen werde. Klimawandel und Land-Grabbing – der Ankauf von großen Agrarflächen in Afrika und Asien durch Staaten und multinationale Konzerne – tragen ebenso dazu bei, dass Menschen aus mangelnder wirtschaftlicher Perspektive verstärkt ihre Heimat verließen.

Flüchtlinge in Europa: Der Flüchtlingsstrom Richtung Europa setzte Anfang des vergangenen Jahres ein, weil sich den Menschen weder in den Aufnahmeländern noch in ihren Heimatländern eine Perspektive geboten habe, erklärte Judith Kopp die rapide Zunahme. So hätten etwa viele Syrer, die momentan größte Gruppe von Flüchtlingen weltweit, nach fünf Jahren Bürgerkrieg in ihrer Heimat die Hoffnung auf eine Rückkehr aufgegeben und sich auf der Suche nach einer sicheren Zukunft auf den gefährlichen Weg nach Europa gemacht.

Europäische Außengrenzen: Die Abschottung Europas vor Zuwanderung aus den afrikanischen Mittelmeeranrainern habe lange Zeit auch durch die Kooperation mit diktatorischen Regimen in Libyen (Gaddafi) und Tunesien (Ben-Ali) funktioniert, sagte Judith Kopp. Derzeit versuche die EU mit verschiedenen Maßnahmen, die Sicherung der Außengrenzen zu forcieren. Als Beispiele nannte sie die Verhandlungen mit der Türkei (Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, Erleichterungen bei der Visa-Vergabe, finanzielle Unterstützung) oder die Operationen von Frontex, der europäischen Agentur zum Schutz der EU-Außengrenzen. Zudem würde der Druck auf europäische Grenzstaaten erhöht.

So werde Griechenland, das seine zuvor „restriktive Grenzsicherung“ in der Ägäis seit den Neuwahlen im Januar 2015 zurückgefahren habe, nachdrücklich aufgefordert, diese Lockerung wieder zurückzunehmen. Die Situation in der Türkei: Die Türkei trägt mit circa 2,5 Millionen Syrern im Lande eine enorme Aufnahmelast. Von diesen Flüchtlingen lebt nur ein geringer Teil in Aufnahmelagern. Judith Kopp: „Die meisten sind irgendwo in der Türkei unterwegs oder bei Verwandten untergekommen.“ Der rechtliche Status der syrischen Flüchtlinge in der Türkei sei nicht definiert. Zwar habe die Türkei die ursprüngliche Genfer Flüchtlingskonvention in ihrer europäischen Ausrichtung ratifiziert, nicht aber das Erweiterungsprotokoll von 1967, in dem alle räumlichen Einschränkungen aufgehoben wurden. Die Rechtssicherheit der syrischen Flüchtlinge in der Türkei sei damit nicht durch die Genfer Konvention gewährleistet. Syrische Flüchtlinge würden in der Türkei als „vorübergehende Gäste“ (Kopp) betrachtet. Europäische Asylpolitik: Asylpolitik müsse zwingend auf europäischer Ebene betrieben werden. In diesem Punkt sind Judith Kopp und Pro Asyl einer Meinung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ohne Kontingente und ohne einheitliches EU-Asylrecht beziehungsweise Standards werde es nicht gehen.

Das Dublin II-Abkommen (Einreiseland ist gleich das Land, in dem der Asylantrag gestellt werden muss), auf dem die EU-Asylpolitik basieren soll, sei kein geeignetes Werkzeug für eine europäische Lösung. Judith Kopp: „Dublin ist gescheitert.“ Im Zuge dieses Scheiterns drohten der Idee von einer EU ohne Grenzen (weitere) Schäden, bemerkte Judith Kopp mit Hinweis auf (wieder) errichtete Grenzzäune und Kontrollen im Schengen-Raum. eh/s
© Bergsträßer Anzeiger, Freitag, 12.02.2016

Quelle:
http://www.morgenweb.de/region/bergstrasser-anzeiger/bensheim/einheitliches-eu-asylrecht-gefordert-1.2640789

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